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Replik in der Neuen Zürcher Zeitung

Nicht mehr «Starchirurg:innen», mehr zufriedene Ärzt:innen braucht das Land

Link zum diesem Artikel in der NZZ: Neue Zürcher Zeitung

Der Artikel «Bürokratie, Burnouts und Behandlungsfehler», der in der NZZ vom 20. Februar erschienen ist, zeigt eindrücklich, wie sich die Situation von Assistenzärzt:innen zurzeit präsentiert. Sie arbeiten zu viel, Pausen können nicht bezogen, Überzeit kann nur teilweise erfasst werden. Das Arbeitsgesetz scheint nur ein theoretischer Referenzrahmen zu sein. Dies hat Folgen für die Betroffenen. Viele stehen kurz vor dem Burnout, mehr als zwei Drittel haben schon über einen Berufsausstieg nachgedacht. Diese Befunde der NZZ-Umfrage decken sich mit den Erfahrungen unserer Mitglieder, von denen wir als Berufsverband täglich hören. Pandemie und Fachkräftemangel haben die Situation in jüngster Zeit noch einmal verschärft. Es ist klar: Wer nebst dem Arztberuf Aufgaben wie die Betreuung von Angehörigen oder Kindern übernehmen möchte oder muss, der hat es sehr schwer. Das zeigen diverse weitere Studien, die unter anderem im Auftrag des vsao durchgeführt wurden. Wenn das Schweizer Gesundheitswesen die hohe Qualität mittel- und langfristig halten will, muss sich etwas ändern. Andernfalls rutschen wir unweigerlich in eine Unterversorgung, weil schlicht nicht mehr genügend Ärzt:innen bereit sind, unter diesen Bedingungen zu arbeiten. Der Import von ausländischen Fachkräften ist nämlich auch nicht die Lösung. Einerseits ist es unethisch, anderen Ländern die teuer ausgebildeten Fachpersonen abzuwerben, andererseits funktioniert es je länger je weniger, da die Arbeitsbedingungen in diesen Ländern tendenziell besser werden.

Das Arbeitsgesetz schützt auch Patient:innen

Die Aussagen des Zürcher Herzchirurgen Paul Vogt im gleichentags erschienenen Interview «Wer mehr arbeitet, lernt auch mehr» können vor diesem Hintergrund nicht unwidersprochen bleiben. Seine These, dass die Qualität der Arbeit gleichbleibt, egal wie lange und wie viel gearbeitet wird, widerspricht jeder Alltagserfahrung. Wir alle wissen aus eigener Erfahrung, dass übermüdete Menschen fehleranfälliger sind als ausgeschlafene und dass irgendwann ein Punkt kommt, an dem es ohne Pause nicht mehr weitergeht. Deshalb ist das Arbeitsgesetz nicht nur ein Schutz vor Ausbeutung, sondern auch eine Sicherheitsvorkehrung für die Patient:innen.

Es mag sein, dass Chirurg:innen nur dann zu «Stars» ihrer Zunft werden, wenn sie über Jahre hinweg ohne Rücksicht auf Verluste arbeiten und operieren. Allerdings braucht das Gesundheitssystem gar nicht so viele «Starchirurg:innen». Stattdessen werden viele Chirurginnen, Dermatologen, Gynäkologinnen, Hausärzte oder Augenärztinnen benötigt, die schlicht ihre ganz alltägliche Arbeit machen, zuverlässig und gerne auch im Teilzeitpensum. Diese verdienen dann auch keine speziell hohe Saläre, aber sie haben das Recht auf ein Privatleben, das diesen Namen verdient. Vogts Aussage, Assistenzärzt:innen seien ineffizient, ist durch nichts belegt. Er vergisst dabei auch, dass Assistenzärzt:innen eben Ärzt:innen in Weiterbildung sind. Es ist deshalb völlig verständlich, dass sie mehr Zeit für Aufgaben benötigen, die ein erfahrener Arzt schnell und routiniert erledigt. Und sie haben auch das Recht und die Pflicht, vier Stunden strukturierte Weiterbildung pro Woche zu absolvieren. Auf Arbeitszeit – wie das SECO kürzlich in einem Brief an die Arbeitsinspektorate unmissverständlich festgehalten hat.

Frustrierend hoher bürokratischer Aufwand

Herr Vogt weist aber zurecht auf einige Punkte hin, die wir gleich sehen und immer wieder thematisieren. Einerseits muss tatsächlich die Bürokratie verringert werden. (Assistenz-)Ärzt:innen verbringen viel zu viel und immer mehr Zeit mit administrativen Aufgaben, deren Sinn oft nicht erkennbar ist. Das kostet nicht nur Zeit und Geld, es ist vor allem frustrierend. Und andererseits hat er recht mit der Feststellung, dass es mehr Studienplätze braucht. Das ist nur schon aufgrund der demographischen Entwicklung offensichtlich. Es bleibt also viel zu tun, um das Gesundheitswesen vor dem drohenden Kollaps zu bewahren. Umso wichtiger ist es, gemeinsam auf die Verbesserung der Zustände hinzuarbeiten und Bedürfnisse von jungen Menschen (die Zeiten ändern sich…) zu respektieren und anzuerkennen, statt immer nur auf der Schiene «Früher war es härter und das hat uns auch nicht geschadet» zu argumentieren. Das Gesundheitswesen braucht Ärzt:innen, die ihren Beruf lange, motiviert und mit Freude ausüben.

Angelo Barrile, Präsident Verband Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte (vsao)